Fast die Hälfte der Betriebe in Deutschland haben keine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt und nur jeder vierte Betrieb hat sie vollständig umgesetzt. Dies zeigt eine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dem Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik und dem Spitzenverband der gesetzlichen Unfallversicherung beauftragte Untersuchung. Im Ergebnis bewegen sich 90 % der Arbeitgeber und Vorgesetzten auf rechtlich dünnem Eis. Auch im öffentlichen Dienst scheint die gesetzliche Umsetzungspflicht noch nicht vollständig angekommen zu sein.
Die Gefährdungsbeurteilung nach den Arbeitsschutzvorschriften scheint weiterhin eine große Unbekannte zu sein. Dabei ist sie die Basis des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und ihre Umsetzung ist in allen EU-Mitgliedsländern eine gesetzliche Pflicht. Während Betriebe bis 10 Mitarbeiter bis vor Kurzem noch von einer Dokumentation befreit waren, müssen auch diese seit der Änderung des Arbeitsschutzgesetzes im Jahr 2013 eine Gefährdungsbeurteilung vorliegen haben. Dass der gesetzlichen Forderung kaum ein deutscher Betrieb nachkommt, zeigen die Ergebnisse der neu veröffentlichen Datenanalyse „Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung in der betrieblichen Praxis.
Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen scheinen sich mit dem Thema Gefährdungsbeurteilung entweder noch nicht auseinandergesetzt zu haben oder sie ignorieren es schlichtweg. In Betrieben mit bis zu neun Mitarbeitern, sind es gerade einmal sieben Prozent, welche eine Gefährdungsbeurteilung vollständig umgesetzt haben. Doch nicht nur Wirtschaftsunternehmen scheinen ihre Schwierigkeiten bei der Umsetzung des gesetzlichen Arbeitsschutzes zu haben: Nur 18 % der öffentlichen Verwaltungen verfügen laut der Befragung über eine vollständige Gefährdungsbeurteilung. Immerhin liegt bei Dreiviertel der Arbeitgeber im öffentlichen Dienst eine Gefährdungsbeurteilung im Ansatz vor.
Welche Auswirkungen eine fehlende Gefährdungsbeurteilung auf Arbeitgeber und Vorgesetzte haben kann, zeigt die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Schon alleine der fehlende Überblick über relevante Arbeitsschutzvorschriften kann straf- und haftungsrechtliche Konsequenzen mit sich bringen. Nach einem schweren Arbeitsunfall ging die zuständige Unfallkasse mit einer „unwissenden“ Vorgesetzten aus der öffentlichen Verwaltung bis vor die Richter nach Karlsruhe. Und bekam Recht zugesprochen. Der Leitsatz „Unkenntnis der Rechtsvorschriften schützt nicht vor Strafe“ wurde damit auch für den Arbeitsschutz höchstrichterlich entschieden.
Die Ergebnisse der Analyse machen deutlich, dass es einer Verstärkung der Beratung und Unterstützung durch die Arbeitsschutzträger bedarf, vor allem in Kleinbetrieben. Schlussendlich schützt eine solche Hilfe die Arbeitnehmer, fördert den Arbeits- und Gesundheitsschutz und bewahrt die Arbeitgeber vor möglichen Regressforderungen. Sie zeigen zudem, dass eine fachliche Beratung durch Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte sowie das Engagement von Betriebs- bzw. Personalräten für die Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung förderlich ist.
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